Meine zweite Verheirathung.

 

Es war schon seit 1846 immer mein Vorhaben, meine Erlebnisse ganz genau aufzuschreiben, führte desshalb kurze Notizen in meinen Tagebüchern, die ich fortgeführt bis zum Jahre 1885, wo ich anfing die beiden Häuser No. 73 u. 15 zu erbauen, wo ich reiche Beschäftigung hatte und eigentlich auch nicht wesentlich Wichtiges zu notieren wußte.

Gegenwärtig 1900 möchte ich gerne alles nachholen, ich muß aber leider darauf verzichten, wegen meinem seit 3 Jahren geschwächten Augenlicht. Ich beschränke mich von jetzt an nur das Nothwendigste von 1865 an bis zur Gegenwart 1900 zu beschreiben.

Am 18 Juli 1865 wurde meine liebe Frau morgens 8 3/4 Uhr von einem gesunden Mägdlein entbunden; es erhielt am 25 August in der Taufe die Namen: Elvira Caroline Selma; Taufpathin war meine Schwägerin Frl. Caroline Christine Walter und als Zeugen die Herren Rechtsanwalt Dr. Knef, Gemeinderath Schaich und Uhrmachermeister Schultz.

Meine Schwägerin war schon am 18. März zu uns, in das für sie hergerichtete Zimmer gezogen und besuchte das Erziehungs-Institut von Frau Dr. Federer. Am 2. Mai wurde sie krank, ging wieder heim; 30. Juni nahm ich sie wegen Krankheit ganz zu uns.

Am 10. August 1866 wurde meine Frau wieder von einem Mägdlein entbunden: Abends 11 3/4 Uhr; es erhielt in der Taufe die Namen: Adele Clara Henriette; Taufpathen waren: ihre Urgroßmutter Salomea Lerch und mein Bruder, Johann Heinrich Samson.

Am 16. April 1867 zog Großmutter auch ganz zu uns.

Am 2. Juni 1867 machte ich mit Selma und Caroline einen Ausflug nach Badenweiler; Caroline scheinbar gesund; aber am 2. Juli wurde sie wieder krank, sie mußte sich zu Bett legen; am 7 ten August erklärte der Arzt: sie sei unrettbar; 9. August wurde sie immer schwächer; am 12 ten gab ihr Decan Helbing das heilige Abendmahl.

Am 19. August Abends 5 Uhr ging ich wieder zu ihr; (Ich hatte während ihrer Krankheit eine Pflegeschwester für sie angenommen) sie reichte mir stillschweigend ihre Hand; ich sah ihr gebrochnes Auge, ihre Hände waren kalt; sie verlangte höher zu liegen; ich richtete sie ganz behutsam höher. Darauf richtete sie ihre wieder klarer gewordenen Augen freundlich lächelnd auf mich und so entschlummerte sie sanft lächelnd hinüber ins bessere Jenseits.

Ich bedauere und betrauere sie tief, denn ich hatte das sanfte, bescheidene Mädchen so lieb gewonnen, als sei es meine leibliche Schwester. Am 20. August wurde sie in den Sarg gelegt, ich schmückte sie mit den schönsten Blumen aus unserm Garten, drückte ihr den letzten Kuß auf ihre kalte Stirne. Die Junge Leiche mußte fortgetragen werden, weil ich jedwede Aufregung meiner lieben Selma vermeiden wollte, da sie einer baldigen Niederkunft entgegen ging. Am 21. August 1867 Abends 5 Uhr wurde die junge Menschenblume bei ernster Trauermusik ins Grab gesenkt. Sie liegt 2 Plätze entfernt von meiner seeligen Gattin und meinem Söhnchen Carl.

Einige Monat später ließ ich ihr ein Denkmal errichten, welches darstellte: Wie ein Junges Mädchen auf einen Ruhebett liegt, mit leichter Decke zugedeckt bis über die Brust, das Haupt, wie schlummernd auf ein Kissen liegend; in der rechten Hand hält es ein aufgeschlagenes Buch, in das folgende Worte eingemeisselt sind:

 

Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten was man hat, muß scheiden.

Zu Füßen ist eine Tafel angebracht, worauf steht:

"Dieses Denkmal widmet Selma Schleip geb .Walter ihrer einzigen Schwester Caroline Christine Walter von Opfingen

geb.... gest.19.August 1867" (1850 ? ) (17 Jahre alt )

 

Am Donnerstag 12. September 1867 wurde meine Frau von einem Mägdlein entbunden; (auf von Professor von Rottecks Rath mußte ich eine Amme annehmen) und am 10. October erhielt es in der Taufe die Namen: Clara, Pauline, Wilhelmine; Taufpathen sind: Pauline Jägling und mein Bruder Wilhelm; Beide in Reichenbach; Vertreter waren Portraitmaler Krewel aus Köln und Frau Dr. Knef. Unsere Gäste waren: Herr von Droste-Hülshof aus Münster, Herr Weiler aus Boppart, Dr. Knef, Frau von Nagel und Lina Höwen, beide aus St. Petersburg. Am 30. November 1867 hat Großmutter mir eine Generalvollmacht erteilt zur Verwaltung ihres ganzen Vermögens. Am 12. Dezember d. J. habe ich Selmas Großvater, Stabhalter Joh. Georg Walter in St. Nicolaus, sein Leibgeding für 4 Jahre eingehändigt.

Es war schon längere Zeit mein Wunsch, auch meine Brüder mal wiederzusehen; dabei sollte meine Frau sie kennen lernen und meine Heimat sehen. Kurz entschlossen, reisten wir 26. Mai nach Baden-Baden, besuchten Herrn Osterloff, spielten Abends auch ein wenig Roulette; den folgenden Tag nach Karlsruhe, Heidelberg und Frankfurt; übernachteten, am andern Tag besuchten wir den Botanischen und Palmengarten, den Kaisersaal und fuhren Abends nach Eisenach. Am andern Morgen gingen wir auf die Wartburg, besahen die Rüstkammer, Sängersaal, Lutherstube und gingen durch Annen- und Marienthal zurück; fuhren mit Extrapost nach Reichenbach, wo wir Abends bei meinem Bruder Wilhelm eintrafen. Den Abend verbrachten wir mit unsern Jugendfreunden vergnügt zu. Am Morgen Pfingsten, 51 Mai wurden Besuche gemacht, ich aquirirte zwei hannoversche Reiterpistolen und Abends waren wir bei meinem Vetter und Jugendfreund, Carl Jügling, seiner Frau Pauline, Claras Pathin, sehr lustig beisammen. Montag 1. Juni reisten wir, in Begleitung meines Bruders und seiner Frau nach Langensalza, aquirirte in Uffhofen einen Säbel und eine hannoversche Feldflasche und trafen Nachmittags bei meinem Bruder Heinrich ein, und kehrten im Hotel Heß ein. Wir 3 Brüder mit unsern 3 Frauen waren höchst vergnügt; namentlich durch die von unsrer lieben Großmutter gespendeten 10 fl. Am folgenden Tag, nach herzlichen Abschied von allen, reisten wir über Langensalza nach Gotha. Hier haben wir das Schloß Friedenstein, dessen Prunkgemächer, den schönen Orangeriegarten und die Anlagen besehen, und fuhren gegen Abend nach den idyllisch gelegenen Reinhardtsbrunnen und übernachteten im dortigen Gasthof. Am folgenden Morgen regnete es in Strömen, trotzdem hunderte von Staren ihren Kindern unausgesetzt Nahrung zutrugen. Da fielen mir unsre Kinderchen ein, ich bekam Sehnsucht nach ihnen; der Wirt mußte uns schleunigst nach Waltershausen fahren, besuchten eilig meinen alten Freund Pollack, kauften Kindermöbel und fort ging's nach Frankfurt, und stiegen im Gasthof Zur Stadt Wien ab. Am folgenden Tag machten wir Einkäufe, und fort gings der Heimat zu, wo wir Nachmittags von unsern Kinderchen und der Großmutter mit lautem Jubel erwartet und empfangen wurden. Diese 11-tägige Reise hatte sichtbar wohltätigen Einfluß auf meine liebe Frau gemacht.

Am 10 November 1868 habe ich meinen im Sterben liegenden, alten Freund und Schwiegervater Joh. Jak. Osterloff zum letztenmal besucht; und am 11 ten d. M. ist er Abends 10 1/2 Uhr gestorben und zwar, wie sein Sohn mir anvertraute, unter beschleunigten Umständen.

Am 27. März Nachts 1 Uhr wurde meine liebe Frau unter glücklichen Umständen von einem gesunden und starken Mägdlein entbunden welches am 27 April in der Taufe folgende Namen erhielt: Selma, Herrmine, Johanna; des Kindes Urgroßmutter war Pathin und der Meßner Mäder mit einem Sohn waren Zeugen.

Ohne nennenswerte Familienereignisse verging die Zeit sehr schnell bis zum 2 ten Mai 1870, wo meine Frau wieder von einem Mägdlein entbunden wurde; es erhielt am 22 ten Mai in der Taufe die Namen: Fanny, Alexandra, Cäcilie; ihre Urgroßmutter war Pathin. Am 26. Juli 1871 wurde meine Frau von unserem 6 ten Mägdlein entbunden; es erhielt am 25 Aug. in der Taufe folgende Namen: Thekla, Fatime, Hedwig; ihre Urgroßmutter war ihre Pathin.

Montag t Januar 1872. - Dieses Jahr hat mir viele Sorgen und trübe Tage gebracht ! - Namentlich der 4. März am Geburtstag m. Frau; am 10 Mai, seinem Geburtstag; die Ursachen sollen vergeben und vergessen sein und bleiben. Zwischen diesen 2 Daten bin ich sehr krank gewesen. Am 13. Juli Morgens 10 Uhr erkrankte plötzlich unser Kind Fanny; sie bekam die furchtbarsten Krämpfe, verlor Sprache, Besinnung; die Hilfe von 4 Ärzten brachte keine Besserung; das arme Kind hat kein Auge mehr aufgemacht; keinen Laut mehr von sich gegeben, in diesem Zustand verblieb es 51 Stunden, bis es auf einmal stille wurde, die Äuglein aufschlug und wie verklärend tot da lag. Es war ein wirklich schönes Kind, es hatte blonde Löckchen und kohlenschwarze Äuglein. Es wurde am gleichen Abend noch in die Leichenhalle getragen, weil unsre andern Kinder den Husten hatten; die Ärzte Prof. v. Rotteck, Prof. Schinzinger mußten es auf meinen Antrag seciren; die Todesursache waren: Krämpfe mit beginnender Gehirnausschwitzung. Am 17. d. M. wurde das schöne Kind ins Grab gesenkt, zwischen meiner 1 ten Frau und meiner Schwägerin und einige Tage später wurde ein kleiner Denkstein darauf gelegt. Ich habe Fannychen nie vergessen. Am 19. Juli habe ich meinen Jungen Jagdhund Treff ein Prachtexemplar von einen fremden Jagdhüter im Wald erschossen worden. 8 Tage vorher bot mir Hr. Schnitzler 300 fl für das schöne Tier.

 

 

 

Nach der Weinlese pflegte ich sehr oft das Jagdvergnügen; da wurde meiner Frau 8. Dezember u. die folgenden Tage unwohl; es wurde aber glücklicherweise wieder besser und Sonntag 22 Dezember Morgens 3 Minuten nach 12 Uhr wurde meine Frau von einem Knäblein entbunden zu unsrer höchsten Freude. Auf ärztlichen Rath mußte ich am 31. Januar 1873 eine Amme Katherine Hag in Königschaffhausen haben. Am 6. Februar 1875 erhielt unser Söhnchen in der Taufe folgende Namen: Carl, Friedrich, Wilhelm; seine Urgroßmutter Salomea Lerch von Opfingen war seine Pathin. Am 4. ten Juli 1873 haben unsre 5 Töchterchen die Masern bekommen und am 9. Juli der kleine Karl auch; doch nach 8 Tagen waren die Kinder wieder gesund u. munter. Leider war es mit Elvira nicht so; sie litt öfters an Asthma und ist zu meinem Bedauern bis zur Gegenwart nicht völlig vergangen. So verging der Sommer, die Weinlese ging zur Zufriedenheit vorüber und die Ausübung der Jagd, blieb mein reinstes Vergnügen.

Am Freitag 5 ten Dezember 1873 Morgens 2 1/4 Uhr wurde meine liebe Selma wieder von einem gesunden Knäblein glücklich entbunden. Doch am folgenden Tag bekam sie starkes Fieber, hatte die schrecklichsten Fieberfantasien, der Hausarzt Prof. v. Rotteck kam jeden Tag zwei mal; ich mußte meine Frau wegen ihren schrecklichen Irrsprechen selbst pflegen. Ich zog noch Prof. Hegar zu Rat; er kam, und das Erste was er tat, war, daß er der Frau Strahm verbot mein Haus zu betreten. Er verordnete sogleich in Eiswasser getunkte Umschläge um den ganzen Körper u. bei Jeden Umschlagwechsel ihr ein Eßlöffel voll vom stärksten Arac einzuflößen und ich mußte noch eine Pflegeschwester zu Hilfe nehmen. Ich nahm auch die Frau Reisacker zur Pflege meiner übrigen Kinder an; fuhr mit der Strahm ins Glottertal und holte eine Amme für das neugeborne Knäblein. Meine arme Frau lag nun schon 16 Tage im Fieberirrsinn; den Kopf unaufhörlich von einer Seite zur andern werfend und ohne auch nur einen Augenblick Schlaf zu bekommen. In der Nacht vom 21 - 22 sten December wurden plötzlich ihre Arme und Beine kalt. Die arme Großmutter fiel mir weinend in die Arme und schluchzte: Unsere Selma stirbt, stirbt, verlassen Sie nicht u. schicken Sie mich nicht wieder nach Opfingen. Ich beruhigte sie. Aus lauter Angst, daß meine Selma nicht sterbe, wickelte ich eiligst heißgemachte Wattetafeln um Arme und Beine, gab ihr anstatt 8 Tropfen Opium 15 Tropfen, wie mir Prf. Hegar befohlen hatte ein, u. 1 Löffel voll Arac. Nach 10 Minuten machte sie aber die Augen zu und lag still, still ! Ich wäre lieber im Boden versunken, dachte an Pauline, und schluchzte: Nun muß ich meine heißgeliebte Selma auch hergeben. Ich wollte ihr einen Abschiedskuß auf die kalte Stirne drücken! aber welche Überraschung! auf ihrer Stirne standen große graue Schweißtropfen, sie atmete, ihr Herzschlag war regelmäßig, sie schlief ruhig bis morgens 4 Uhr ! Als ich zur ihr trat, sagte sie still: Carl ! ich bin wohl recht krank gewesen? jetzt ist mir aber wieder wohl. Großmutter und Schwester blieben bei ihr; ich eilte zu den Ärzten; sie kamen um 7 Uhr. Als Hegar die Kranke betrachtet und untersucht hatte, rief er: Herr Schleip, Ihre Frau ist gerettet. Er verordnete noch die nötige Nahrung für meine Frau, die der liebe Gott mir und meinen 7 Kindern am Leben erhalten hatte. Die Genesung machte nur langsam Fortschritte. Der Weihnachtsabend verlief still und traurig, obgleich meine Kinder und die übrigen Personen alle schöne Geschenke erhalten hatten. Meine Frau mußte aber vor jeder Aufregung bewahrt werden. Es wurde jedoch langsam besser und wir konnten das neue Jahr 1874 nun mit Vertrauen antreten.

Das Jahr 1874 brachte aber auch trübe Tage. Am 6. Januar erkrankten unsere Kinder an den Windpocken. Den 18. Januar ist Mama zum ersten mal wieder aufgestanden und ich habe ihr ein kleines Christbäumchen angezündet und 30 neugeputzte Thaler daran gehängt; am 15. Februar konnte sie zum ersten mal wieder die Kirche besuchen. Einen Tag nach Mamas Geburtstag, also am 5. März, bekam Großmutter Schüttelfrost und Lungenentzündung, den 10. März noch eine Lungenlähmung. Abends 7 1/4 Uhr ist sie nach kurzen Todeskampf sanft verschieden; ich liebte sie wie meine eigene Mutter; am 13 März wurde sie ins Grab gelegt. Einige Monate später haben wir ihr ein einfaches Denkmal setzen lassen. Sie war eine gute edle Frau.

Im März und April erkrankte unser Karlchen an Aften. Am 9. April erkrankte ich selbst, an einem Anfall von Abortiftyphus; ich wurde sehr krank und es wurde erst besser am 15. Juni. Von da an bis September brach ich mein Pflanzenhaus ab und ließ 4 Zimmer daraus machen.

1875: Am 7 Juli bis 6 ten August ist Mama sehr krank gewesen ! - Am 12. August 1876 sind Mama, Elvira und Karl zur Erholung nach Hinterzarten gereist und dort geblieben bis 24. August.

Vom Jahr 1876 an bis 1879 sind mir viele Unannehmlichkeiten und Ärgernisse von Schuster, Muggenfuß wegen Abtretung und Verkauf von Gelände gemacht worden Auch einen Prozeß mit Gerteis wegen unrichtiger Vermessung seines von mir gekauften Bauplatzes, ist mir erwachsen, aber noch viel größeren Ärger und Beleidigungen habe ich ertragen müssen von einer Seite, von der ich es nie erwartet, nie vorher geahnt habe. Doch auf Regen folgt

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das Neujahr 1884 mit 1 Flasche Champagner eingeweiht. Donnerstag 14. August reisten ich, Mama u. 8 Kinder, (Sascha blieb in Pflege einer Pflegschwester u. 2 Dienstmädchen) über Oberried, Wilhelmsthal, über den Feldberg nach Menzenschwand, wo wir übernachteten; von da nach St. Blasien durchs Alpthal nach Alpbruck bis Schaffhausen wo wir übenachteten u. am folgenden Morgen per Dampfer Rheinaufwärts nach Constanz u. Insel Mainau, zurück nach Constanz; e Nachtquartier u. den folgenden Morgen über Singen, Triberg, Offenburg wieder heim, wo wir unser verlassenes Töchterlein gesund und munter antrafen..